Ich sehe die Hex, die mit ihrem Fuß, ihrer Basis, in der Erde verankert ist. Dahinter steht der große Weise und entzündet sie. Die Hex brennt und in diesem Moment wird ihre Kraft frei. “Die Kraft der großen Mutter”, höre ich.
Ich sehe im Tal die weißen Lebensgeister erwachen, jedoch  nicht vollständig. Sie sind irgendwie statisch, wie blockiert. Trotzdem ist das ganze Tal erfüllt von ihnen. Wie die Spitzen von weißen Eiern, die aus der Erde lugen, bereit zu schlüpfen…

Das Bild wechselt: Neben dem großen Weisen stehend, sehe ich, wie hinter dem Fuß der Hex eine Treppe hinunter in die Erde führt. Ich steige hinab und es taucht ein Bild, gleichsam einer Erinnerung, von früher auf, das eine Höhle mit einem orangen, warmen Licht zeigt. Mich durchflutet ein warmes Gefühl. In der Höhle zeigt sich eine weibliche, mütterliche Gestalt. Aber so wie ich das Bild erfasst habe, ist es auch schon wieder weg. Zurückbleibt ein Hohlraum, kalt, leer und dunkel.
 
Dann kommt die Botschaft:
Wenn die Männer mit dem Aufrichten der Hex die Absicht haben, den Himmel mit der Erde zu verbinden, sie zum einen durch ihre Basis mit der Mutter Erde zu verbinden, ihre lebensspendende Kraft nach unten auszurichten, zum anderen die aufragende Spitze der Hex nach oben mit der Kraft des Göttlichen, des Schöpfers zusammen bringen, dann entseht eine grosse Kraftsäule, die durch das Entzünden eine gigantische Lebenskraft freisetzt.
Diese Kraft kann jetzt vollständiger fliessen und dem Land zur Gänze, nach der Winterruhe, zur Verfügung stehen. Es ist die Kraft des Aufbruchs, der Veränderung und der Fruchtbarkeit. Es gibt dabei aber noch einen wesentlichen Aspekt, der nicht vergessen werden darf – die Kraft der Frauen.
Während die Männer ihre körperliche Kraft zur Verfügung stellen, damit das gigantische Kreuz oder die Stange, je nach Dorf, aufgerichtet werden kann, geben die Frauen auf ihrer Weise noch ihre Kraft dazu. Mit Singen, Jubeln, Tanzen, Klatschen, Stampfen, Beten, in Gedanken oder auf einer anderen ihnen entsprechenden Weise. Dadurch, dass sie es sich ebenfalls bewusst machen, dass sich jetzt das Weibliche mit dem Männlichen verbindet, ist nun der ewige Kreislauf geschlossen… Himmel und Erde, Mann und Frau erreichen eine Kraft, mit der Alles möglich ist; Fruchtbarkeit…. Neues entsteht.
Scheibenschlagen im Vinschgau

Scheibenschlagen in Kortsch, oberhalb der Ägidiuskirche. Fotografie, Gestaltung und Copyright Martin Ruepp


Anschließend wird mir noch gezeigt, wie sich das Ritual in der Feinstofflichkeit durch das veränderte Bewusstsein auf das Land auswirkt:
Ich sehe, wie in der vorbereiteten Öffnung, in die die Stange verankert worden ist, ein Ei liegt (als Symbol? als Opfer? … Ich weiss es nicht). Die Männer richten die gigantische Stange mit dem Kreuz und der doppelten Drachenform auf. Die Frauen stehen dabei und geben ihre Kraft durch das Anfeuern, Jubeln, Tanzen und Klatschen dazu. In dem Moment, in dem sie vollständig in der Erde verankert ist, aufrecht in den Himmel ragt,  sehe ich wie sich das orange, warme Licht über die ganze Hexe verteilt. Von oben hingegen ergiesst sich gleissendes helles Licht über die strohumwickelten Holzstangen. Es sieht aus wie elektrisch geladen und verteilt sich vollständig um die Hex.
Scheibenschlagen in Kortsch, oberhalb der Ägidiuskirche

Fotografie & Bearbeitung & Coppyright, Martin Ruepp

Beim Entzünden des Strohs verströmen diese vereinten Kräfte über das ganze Tal.
Jetzt kommt Bewegung in die vorher schon gesehenen Lebensgeister, sie wirbeln über das Land und nehmen dunkle Schatten auf, verbrauchte Reste des vergangenen Jahres, die es nicht mehr braucht. Sie verwirbeln sie, sodass nichts anderes mehr zurückbleibt als lichte Energie. Hell wird’s im Tal. Bis in den letzten Winkel geht der Tanz der weißen Gestalten und verwirbelt die Schatten.
Die Natur macht sich bereit, die Kräfte des Wachstums sind geweckt.
 
 
Was ist mit dem Scheibenschlagen selbst, von dem der Brauch seinen Namen hat ?
Schwingen der glühenden Scheiben

Foto & Copyright
Sybille Tröger

Ich sehe das Bild, wie eine Person die Holzscheiben ins Feuer hält und auf den richtigen Moment wartet. Dann nimmt sie die glühende Scheibe am Haselnussstock, und schwingt sie. Wieder wartet die Person den richtigen Moment ab, um dann die glühende Scheibe ins Tal zu schleudern.  Bei diesem Bild erhalte ich folgende Erklärung: Der Vorgang des Scheibenschlagens erfordert Geduld, um den richtigen Moment abzuwarten, den Willen sowie eine große Entschiedenheit und schlussendlich wohldosierte Kraft. Dies alles für ein Ziel: Die Scheibe so weit als möglich in die Welt hinaus zu schicken. Diese Fähigkeiten werden bei der ausführenden Person geweckt: Geduld, Wille, Fokusiertheit und Tatkraft. Der Person, der die Scheibe geweiht ist, bekommt auch diese geweckten Kräfte zu spüren, besonders, wenn der, oder die Schlagende vollständig in diesen Vorgang aufgeht.
Birkenscheiben für ein Feuerritual im Vinschgau

Fotografie & Bearbeitung & Copyright Martin Ruepp

Und leise höre ich :
Die Hex ist für’s Land, das Schlagen der Scheibe für den Mensch!